Re: "*innen"? (war: Übersetzung KDE ECO Blog Opt Green)
Joseph P. De Veaugh-Geiss
joseph at kde.org
Wed Jul 17 10:30:08 BST 2024
Vielen Dank an alle für euren Input!
Die aktualisierte Übersetzung findet ihr hier:
https://phabricator.kde.org/D30165
Wir haben den Rat für deutsche Rechtschreibung in den Text übernommen.
Bitte lass uns wissen, wie wir vorgehen können, um die Übersetzung in
die Website zu übernehmen.
Beste Grüße
Joseph
On 7/14/24 18:20, Nils Naumann wrote:
> Hallo, der Rat für deutsche Rechtschreibung erkärt: "Wortbinnenzeichen
> gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie". Es gibt zu viele
> Folgeprobleme.
>
> Ich halte es so: In technischen Texten lassen sich Bezüge auf Personen
> meist vermeiden. Wenn das nicht möglich ist, muss nur wenn aus dem Kontext
> nicht eindeutig hervorgeht, dass nur ein eingeschränkter Personenkreise
> gemeint ist, dieser spezifiziert werden.
>
> N.
>
> Am Mi., 10. Juli 2024 um 13:04 Uhr schrieb Joseph P. De Veaugh-Geiss <
> joseph at kde.org>:
>
>> Hallo Johannes, hallo alle,
>>
>>> Wollen wir "*innen" in unseren Übersetzungen?
>>> Ja
>>> Nein
>>> Vielleicht (aber doch lieber anders)
>>
>> Meine allgemeine Antwort auf die Frage: Ich bin für Ja. Siehe unten für
>> die Begründung.
>>
>> Bezüglich des Blogposts und der Texte von Opt Green, siehe meine Antwort
>> hier: https://mail.kde.org/pipermail/kde-i18n-de/2024-June/016260.html
>>
>>> 1. Es gibt ein generisches Maskulin (Genus).
>>
>> Zum generischen Maskulinum: Die Idee ist, dass Satz (1) identisch mit
>> der geschlechtsneutralen Version in (2) ist.
>>
>> (1) Es gibt zu wenige Freie Software-Entwickler.
>> (2) Es gibt zu wenige Menschen, die Freie Software entwickeln.
>>
>> Aber das ist nicht die ganze Geschichte. (1) ist zweideutig. Vergleiche
>> (3a) mit (3b) im Kontext.
>>
>> (3a) Es gibt zu wenige Freie Software-Entwickler. Die meisten
>> entwickeln proprietäre Software.
>>
>> == geschlechtsneutrale Bedeutung: Es gibt zu wenige Menschen,
>> die Freie Software entwickeln. [...]
>>
>> (3b) Es gibt zu wenige Freie Software-Entwickler. Die meisten
>> sind Entwicklerinnen.
>>
>> == geschlechtsspezifische Bedeutung: Es gibt zu wenige Männer,
>> die Freie Software entwickeln. [...]
>>
>> Im Gegensatz dazu ist /Mensch/ in (2) wirklich neutral. Das zeigt sich
>> an dem Widerspruch im zweiten Satz in (4). In (4) bekommst du die
>> geschlechtsspezifische Bedeutung nicht.
>>
>> (4) Es gibt zu wenige Menschen, die Freie Software entwickeln.
>> #Die meisten sind Entwicklerinnen.
>>
>> == geschlechtsneutrale Bedeutung: Es gibt zu wenige Männer und
>> Frauen, die Freie Software entwickeln. [...]
>>
>> Nur zur Erinnerung: Genus != semantisches Geschlecht. Z.B.
>> https://de.wikipedia.org/wiki/Genus#Genus_und_Sexus_im_Deutschen
>>
>>> 4. Ich bin grds. gegen Verkomplizierung der Sprache beim Lesen und
>> Schreiben (weniger erhöht den Lesefluss [Kontext basiertes Lesen]).
>>
>> Ich stimme zu, aber für mich ist der Wunsch nach klarer, eindeutiger und
>> inklusiver Kommunikation auch sehr wichtig. Außerdem ist es nicht
>> einfach, "Komplexität" zu definieren. Auch mehrdeutige Ausdrücke sind
>> komplex.
>>
>> Das "generische Maskulinum" ist zweideutig und es gibt zahlreiche Belege
>> dafür, dass Geschlechterstereotypen beeinflussen, wie wir mehrdeutige
>> Sprache interpretieren. Vergleiche (5a) mit (5b):
>>
>> (5a) Es gibt zu wenige Freie Software-Entwickler. Die meisten
>> sind Entwicklerinnen.
>> (5b) Es gibt zu wenige Lehrer. Die meisten sind Lehrerinnen.
>>
>> Der Satz in (5b) ist vielleicht leichter als (5a) zu lesen. Der Einfluss
>> von Geschlechterstereotypen auf die Interpretation von mehrdeutigen
>> Phrasen/Sätzen ist in der Linguistik auf vielfältige Weise untersucht
>> worden, von statistischen Textanalysen über Messungen der Lesezeiten bis
>> hin zu Sprachverständnis- und Produktionsaufgaben.
>>
>> Eine wirklich geschlechtsneutrale Form wie "Menschen, die..." ist
>> eindeutig, aber komplizierter. Die Form *innen löst diesen Konflikt bis
>> zu einem gewissen Grad auf und ist eindeutig in der Bedeutung. In
>> (6a)-(6b) kannst du zum Beispiel sehen, dass die Interpretation mit
>> geschlechtsneutralen Nomina wie /Mensch/ identisch ist.
>>
>> (6a) Es gibt zu wenige Menschen, die Freie Software entwickeln.
>> #Die meisten sind Entwicklerinnen.
>> (6b) Es gibt zu wenige Freie Software-Entwickler*innen. #Die
>> meisten sind Entwicklerinnen.
>> -> Die neutrale Bedeutung in den ersten Sätzen steht im
>> Widerspruch zum zweiten Satz. (Semantische Merkwürdigkeit wird in der
>> Semantik mit dem Rautensymbol # gekennzeichnet.)
>>
>> Vgl. (7a)-(7b):
>>
>> (7a) Es gibt zu wenige Menschen, die Freie Software entwickeln.
>> Die meisten entwickeln proprietäre Software.
>> (7b) Es gibt zu wenige Freie Software-Entwickler*innen. Die
>> meisten entwickeln proprietäre Software.
>> -> Die neutrale Bedeutung in den ersten Sätzen steht nicht im
>> Widerspruch zum zweiten Satz.
>>
>>> 2. Meine 15 Mitarbeiterinnen und viele andere mir bekannte Frauen
>> meinen, dass sie sich durch diesen "Gender-Wahnsinn" (o-Ton) eher zur Schau
>> gestellt als ernst genommen fühlen.
>>
>> Meine Erfahrung ist genau das Gegenteil. Die meisten Frauen, die ich
>> kenne, fühlen sich durch das Maskulinum (z. B. bei /Entwickler/) nicht
>> repräsentiert. Einige finden (8a) problematisch; vgl. (8b).
>>
>> (8a) Peter (m) ist ein Freie Software Entwickler. ?Maria (w) auch.
>> (8b) Peter (m) ist ein toller Mensch. Maria (w) auch.
>>
>> Das Thema ist aber auch politisiert, und es gibt noch andere
>> (soziolinguistische) Ebenen in der Diskussion, die die Meinungen und
>> Erfahrungen der Menschen sicherlich beeinflussen.
>>
>>> 3. Ich berücksichtige bei Entscheidungen gerne die Fachexpertise meiner
>> Mitarbeiter (Genus, wie aus oben leicht erkennbar [Kontext]).
>>
>> Ich habe einen Doktortitel in theoretischer Linguistik (mit Schwerpunkt
>> Semantik/Pragmatik) von der Universität Potsdam. Ich hoffe aber, dass
>> die Argumente auch ohne ein Argument von Autorität überzeugend sind.
>>
>>> 5. Das Gender-Sternchen (nicht das Gendern per se) wurde in Bayern
>> verboten.
>>
>> Ja, das ist mir bekannt. Dies steht auch in direktem Widerspruch zu den
>> UBA-Verordnungen.
>>
>>> 6. Diverse könnten sich gerade durch Nennung der männlichen und
>> weiblichen Form weiterhin und ggf. noch mehr ausgeschlossen fühlen.
>>
>> So wie ich das verstehe, ist das Sternchen als Genderzeichen genau für
>> Diverse.
>>
>>> Ich lass mich aber auch gern von anderen Meinungen überzeugen!
>>
>> Danke, dass du das Gespräch auf eine respektvolle und unterhaltsame
>> Weise eröffnet hast.
>>
>> Bitte entschuldige meine möglichen Fehler. Ich bin immer noch kein
>> Muttersprachler :)
>>
>> Beste Grüße
>>
>> Joseph
>>
>> --
>> Joseph P. De Veaugh-Geiss (he/him)
>> KDE Eco Project & Community Manager
>> OpenPGP: 8FC5 4178 DC44 AD55 08E7 DF57 453E 5746 59A6 C06F
>> Matrix: @joseph:kde.org
>>
>> Generally available Monday-Thursday from 10-16h CET/CEST. Outside of
>> these times it may take a little longer for me to respond.
>>
>> KDE Eco: Building Energy-Efficient Free Software!
>> Website: https://eco.kde.org
>> Mastodon: @be4foss at floss.social
>>
>
--
Joseph P. De Veaugh-Geiss (he/him)
KDE Eco Project & Community Manager
OpenPGP: 8FC5 4178 DC44 AD55 08E7 DF57 453E 5746 59A6 C06F
Matrix: @joseph:kde.org
Generally available Monday-Thursday from 10-16h CET/CEST. Outside of
these times it may take a little longer for me to respond.
KDE Eco: Building Energy-Efficient Free Software!
Website: https://eco.kde.org
Mastodon: @be4foss at floss.social
More information about the kde-i18n-de
mailing list